dringender Blödsinnalarm
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22. November 2019
komische Vögel
Das Schwert kam mir gleich verdächtig vor, als ich das kleine
Rauskuckfensterchen der Haustüre von innen öffnete, um zu
schauen, wer geklingelt hatte. Ich hatte
mir in den letzten Jahren angewöhnt, wenn es nachts klingelte,
erst einmal das kleine Rauskuckfensterchen zu öffnen bevor ich
Hinz und Kunz hereinlasse. Man hört ja so einiges. Angefangen bei
herumstreunenden Trickbetrügern bis hin zu Mitgliedern
christlicher Splittergruppen, die Anwohner mit ihren Glaubenslehren
behelligten. Glaubt mir, da wo ich wohne, ist das nach oben offene
Epizentrum des Bibelgürtels und solcherlei Besuche an der Tagesordnung. Adelboden muss verglichen dagegen als das
Sodomundgomorrha der Strukturschwächlinge angeschaut werden. Ein Nachbar wurde
neulich Opfer des berühmten
Enkeltricks. Eine als Oma verkleideter Rumäne klingelte am Abend
als es bereits dunkel war an seiner Tür und tischte ihm eine wilde
Räuberpistole auf: Sie wäre die verschollene Oma aus
Schlesien und forderte Einlass. Da er gerade ausserstande war gedanklich seine
Herkunft lückenlos herzuleiten, liess er die vermeintliche Oma
rein, setzte sie in die Küche und servierte ihr erst einmal
Tee. Er wollte Zeit gewinnen und ging die permutativen Möglichkeiten im Kopf
durch. Irgendwo hatte er ein altes Fotoalbum, von welchem er sich
Bestätigung erhoffte. Als er nach zehn Minuten mit dem nun endlich
gefunden Album in die Küche zurückkam, war die Küche
leer und die Oma verschwunden - spurlos. Er wunderte sich erst, blieb
aber arglos. Nach und nach stellte er fest, dass zusammen mit der
Oma, auch sein Handy, sein Laptop, und einer in einer staubigen
Blechdose versteckter nicht unbeachtlicher Geldvorrat, fehlte.
Nun stand also der Tod vor
der Tür - vor meiner Tür. Wie gesagt mit dem gezogenen
Schwert - einem verdächtig leicht wirkenden Zweihänder - in
der Luft herumfuchtelnd. Hatte ich in der einschlägigen
Literatur nicht gelesen, dass der Tod eine Sense mitbringen würde?
Ich war
unsicher. Das Schwert hätte ich in der Vorstellung eher dem Krieg
oder der Pest in
die knöchrige Reiterhand gedrückt. Es war keine Zeit lange
herumzurätseln, schliesslich hatte ich, wenn ich ehrlich sein
wollte, keine Ahnung von solchen Gestallten. Das Wissen, auf das ich
mich hier berufe, werde ich wohl aus Peter Moosleitners interessantem
Magazin haben. Schlimmstenfalls war es eine popkulturelle Anlehnung aus
einem Song der Dire Straits oder der Scorpions.
Die Gestalt mit dem Schwert war nicht alleine, eine Horde von weiteren,
in schwarze Tücher gewickelte Figuren belagerten meine
Haustüre. Erst jetzt fiel mir auf, dass alle durcheinander auf
mich einredeten. So sehr ich mich aber anstrengte, und meine gespitzten
Ohren auf das Gerede einstellte, es gelang mir nicht herauszufinden, was
die Knirpse wollten. Es fiel mir nämlich auch auf, dass es sich um
Zwerge handeln musste. Durch die verkürzte Projektion von meinem
Fensterchen aus auf die Eingangstreppe verkürzten sich selbst Mormonen
zu Pygmäen und die grösse von wirklich kleinen Figuren
fällt dem Betrachter von der Rauskuckfensterchenwarte aus zuerst nicht auf.
Schlagartig wurde mir alles klar. Da draussen stand nicht Freund Hein
mit seinem Gefolge - gekommen mir die Luft rauszulassen, da draussen
standen kostümierte Kinder und bettelten nach Süssigkeiten.
Ich erinnerte mich. Es war Halloween. Gratiszeitungen,
Personalrestaurant und Schaufenster waren seit Wochen voll mit
geschnitzten Kürbissen. Diese Unsitte aus Erntedank und staatlich
verordnetem Impulsprogramm für den Detailhandel. Eltern, die ihre
Kinder einmal im Jahr nachts um die Häuser ziehen lassen,
um friedliche Nachbarn zu behelligen. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen.
Übrigens dieselben Eltern,
die dieselben Kinder aus Angst, dass sie von Autos auf dem
Zebrastreifen plattgemacht
werden, tags darauf (und jeden weiteren Tag bis sie in die
Rekrutenschule müssen) mit dem Geländewagen
bis in die Klassenzimmer hineinfahren. Und wie es der Zufall will, auch
dieselben Eltern, die in jeder anderen Nacht vor und nach der
Halloweennacht vor lauter Angst um ihre Kinder nicht schlafen
können, weil sie die Vorstellung, der friedliche Nachbar von
nebenan verstecke sich unter dem Kinderbettchen (neben dem harmlosen
Monster, wegen dem das Kind nicht schlafen kann) und macht obszöne
Geräusche.
Ich wollte mit dem Ganzen nichts zu tun haben und ärgerte mich,
dass ich nicht daran gedacht hatte und der Türe fernblieb, als es klingelte. Die Zeichen waren
unübersehbar. Ich steckte fest, denn die Knirpse liessen sich
nicht abwimmeln. Immer näher rückten sie auf und begannen
bereits am Türknauf zu rütteln. Ich dankte insgeheim Gott
für die Eingebung damals, eine schwere Eichentüre einbauen zu lassen.
"Geht weg!" Schrie ich zum Fensterchen raus. "Ihr macht mir Angst. Ich
habe keine Süssigkeiten im Haus, bin Diabetiker. Da vorne wohnt
ein Zahnarzt. Der gibt." Solcherlei gab ich in meiner Verzweiflung zum
Besten, nur um die Biester loszuwerden. Es half alles nichts.
Ich sagte: "Ich kann hier sowieso nicht die Türe aufmachen, denn
ich bin splitterfasernackt und dann.." Diesen Satz konnte ich nicht
zuende sagen, stoben sie bereits in alle Richtungen davon. Oha, dachte
ich, das war einfach. Den merke ich mir.
Sofort beschlich mich aber ein ungutes Gefühl. Wielange wird es
wohl dauern, bis die Sitte(npolizei), gefolgt von einem aufgebrachten Elternmob,
mit Fackeln, und "Holt das Schwein raus!" skandierend klingelte?
Ich beruhigte mich schnell wieder und verzog mich, zwar noch etwas
meinen Gedanken nachhängend, wieder in mein Wohngehäuse zurück.
In der Küche standen
zu meiner Verwunderung zwei Typen. Die mussten
sich während der ganzen Aufregung hinten reingeschlichen haben.
Ich kannte sie nicht auf den ersten Blick. Schnell war aber klar, dass
es sich um Tommy Hilfiger und Björn Borg handelte. Die beiden
verlangten von mir das Herausrücken ihrer Kleider. Sie waren
offenbar, während ich bei den Halloweenkids war bereits
durch meine Kleiderschränke gegangen und rissen die
gewünschten Klamotten raus. Tommy hielt einen abgewohnten Pullover
in den Händen und Björn einen Stapel Unterschläuche mit
seitlichem Eingriff aus weissem Feinripp.
Dass sich dieser Pullover noch in meinem Besitz befand, erstaunte mich.
Erstanden vor gefühlten zwanzig Jahren in einer Brockenstube der
Heilsarmee, hatte er bereits damals weniger Spannkraft als ein
zuschandegerittener Gaul. Ich trug ihn einmal zu den
Weihnachtsfeierlichkeiten meines damaligen Arbeitgebers, um meinen
Missmut gegenüber den Arbeitsbedingungen zu demonstrieren und danach nur noch
für Gartenarbeiten. Ich war der Meinung, ich hätte ihn zwischenzeitlich einer
Freundin als Lager für ihren an einer seltenen Darmkrankheit
erkrankten Goldenretriever geliehen. Dem war offenbar nicht so, in diesem Punkt musste ich mich
getäuscht haben, denn Tommy stand mit bebender Brust in meiner
Küche und hielt das löchrige Rudiment aus Striktur eines
maroden Garns in die Höhe. Er macht dabei ein Gesicht, als wäre es sein Haustier, das
durch meine unsachgemässe Pflege während seiner
Ferienabwesenheit zu Tode gekommen ist.
Bei Björn lag die Sache anders aber nicht minder verzwickt. Bei
der Miederware die Björn aus meinem Fundus gefischt hatte,
handelte
es sich um Erbstücke unserer Familie. Halbleinen aus dem letzten
Jahrhundert. Es konnte sich keinesfalls um Tennisunterwäsche
björnborgscher Ausprägung handeln, denn als die Ware das Band
verlies, hat Kleinbjörn noch hinter dem Mond Sand gefressen. Ich
erbte das
unzerstörbare Zeug nämlich von meinem Vater, als ich in die
Rekrutenschule
einrücken musste. Er wiederum erbte sie sechsundzwanzig Jahre
früher von meinem Opa aus ebendiesem Anlass.
Grossvater seinerseits trug die Wäsche bereits in seinem Aktivdienst bei der
Bewachung der Schweizergrenze in Rheinau. General Guisan legte sehr
viel Wert auf Hygiene und liess die Soldaten der schweizerischen Armee grosszügig mit der
nötigen Unterwäsche ausrüsten.
Damit ich an der geerbten Wäsche lange meine Freude haben würde,
versah meine Mutter jedes Stück mit einem kleinen
Stoffetikett, auf welchem meine Initialen D.B. draufgestickt waren.
(Natürlich musste sie zuerst die Etiketten mit den Initialen
meines Vaters so entfernen, dass keine losen Fäden
zurückblieben).
Anders konnte ich es mir nicht erklären, aber offenbar leidet Björn unter einer Leseschwäche und meinte,
D.B. (Der Björn?) seien seine Initialen, worauf er diesen ganzen Aufruhr in meiner
Wohnung veranstaltete.
Es geschah nicht mehr viel an diesem Abend. Die Giraffeneier,
die ich mir beim Mazedonier heholt hatte und die ich in Weissweinsauce
gratinierte, reichten für uns drei. Wir wurden davon ordentlich
satt. Ich versöhnte mich mit
den beiden und nachdem wir zusammen noch ein Bierchen gezischt hatten,
Björn die traditionsbeladene Unterwäsche wieder dorthin
zurückbrachte, wo sie hingehörte, trollten sich die
beiden und ich ging zu Bett.
Im Bett konnte ich lange icht einschlafen, die Worte Björns gingen
mir lange im Kopf herum. Er sagte: "Nur aus der unbefreiten Tugend
heraus, liesse sich heute keine Milderung der Umstände mehr
fordern - es müsse unentwegt geprüft werden, ob in der
herrschenden Situation nicht auf radikaleren Mitteln zu beharren
sei".
D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h "
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Kommentare (2)
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