"Hier können Sie raus zum Rauchen, hier hält der Zug acht
Minuten". Sagte die Frau von der Zuggastronomie, nachdem der Zug in Lindau zum Stehen gekommen
war.
Der Zug war der Eurocity aus München auf dem Weg nach Zürich.
Seit der Abfahrt des Zuges in München sass ich im Speisewagen und
hatte mir bereits ein Tagesgericht und eine Flasche Merlot genehmigt.
Ich versuchte nun den Rest der Strecke, indem ich sporadisch ein
weiteres Getränk bestellte, im Speisewagen sitzen zu bleiben, ohne
den Argwohn der Frau von der Zuggastronomie zu erwecken. Der Zug war
heillos überbucht, und da ich keinen reservierten Sitzplatz hatte
und weil das Reisen im Speisewagen in puncto Beinfreiheit und Komfort,
dem des Reisens in der ersten Wagenklasse glich, hatte ich Nullbock,
meinen Platz zu räumen. Weder für einen Banker, der dann die
restlichen zwei Stunden an einem Mineralwasser nippend in sein Notebook
glotzt, noch, um auf die Toilette zu gehen. Zweiteres wäre durch
die unentwegte Getränkebestellerei fast schiefgelaufen. Nicht
umsonst aber nennt man mich in meinem Zechkreis
"Die Eiserne Blase".
In Lindau sah ich mich nun also plötzlich mit dem wohlwollenden
Angebot konfrontiert, draussen auf dem Bahnsteig eine Zigarette zu
rauchen. Ich überlegte nicht lange, schlüpfte durch die
Versorgungsluke des Speisewagens und stand unmittelbar neben der Frau
von der Zuggastronomie, die bereits herzhaft an ihrer Zichte zog.
Da ich natürlich keine Zigaretten
besass, ich das Rauchen höchstens seit dreissig Jahren in
Erwägung nie aber nur annähernd in echt an einer Zigarette
zog, musste ich eine schnorren. Fängt ja gut an, dachte ich. Die
Lady war so freundlich und gab mir auch Feuer.
Für gemeine Touristen ist Lindau ein Ausflugsziel mit
augenfälligen Rentnercontents.
Für den ferrosexuell orientierten Reisenden ist Lindau eine
Wundertüte von eisenbahntechnischen Ausnahmeerscheinungen. Lechz!
Zum Beispiel hat Lindau wahrscheinlich die höchste Schrankendichte
am europäischen Fernverkehrsnetz. Der interessanteste Aspekt an
Lindau ist allerdings der Lokwechsel. Nachdem die Deutsche Bahn es bis
heute nicht geschafft hat die Strecke durchs Allgäu zu
elektrifizieren, kommt zwischen München und Lindau Dieseltraktion
zum Einsatz. Zwei Diesellokomotiven der 218er-Baureihe ziehen dort
einen bunten Haufen Wagen aus den Restbeständen (solche noch mit
offenen
Toiletten) der SBB und fahren sie arglos an den Klimazielen Deutschland
vorbei. In die Schweiz dürfen die Ölbrenner dann aber nicht
und werden in Lindau durch eine saubere Re4/4 ersetzt. Der Kopfbahnhof
eignet sich dazu ideal.
Etwas abseits vom Zug rauchten wir dann also unsere Lungenbrötchen
und beobachteten dabei, wie vorne und hinten am Zug Lokomotiven an-
beziehungsweise abgekuppelt wurden. Meine jungfräulichen Lungen
sträubten sich vehement und ich hustete mir die Seele aus dem
Leib. Etwas verdutzt beobachtete mich die Frau und traf auch voll ins
Schwarze, als sie mich fragte, ob dies meine erste Zigarette sei.
Ich wünschte mir, dass Gottes Plan für Ferrosexualität
vorsehen täte, zur Entlastung der Lungen irgendwie auf
Blase rauchen zu können, behielt das aber für mich
und kroch wieder auf meinen Platz.
--
D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h