Letzten Freitag, ein Tag vor dem Wahlwochenende, händigte mir ein
junger Mann ein Flugblatt aus, auf welchem dazu aufgefordert wurde,
tags darauf zum Antifaschistischen Nachmittagsspaziergang in der Berner
Innenstadt zu erscheinen. Ich griff mir den Burschen reflexartig und
nahm ihn mir im Brustton der Überzeugung zur Brust. Ob er denn
nicht der Meinung wäre, an der Wahlurne, die gerade sperrangelweit
geöffnet war, um das nationale Parlament neu zu
bestellen, Veränderung zum Besseren herbei zu führen?
Frug ich ihn. Sogar damit, faschistische Tendenzen im Keim zu ersticken probierte ich ihm
den Segen des aktiven Wahlrechts schmackhaft zu machen.
Er ging auf keine brauchbare Diskussion ein, entwand sich meinem
direktdemokratischen Würgegriff und scholl mich einen
reaktionären Spiesser und Mitläufer.
Sonntags sass ich dann in meinem kleinbürgerlichen
Spiessergehäuse und hörte mir im Nachrichtenkanal die ersten
Hochrechnungen an. Es sah nicht gut aus. Das wusste ich bereits. Aber
auch wenn sie letztlich und unverbrüchlich stirbt, lichtert das
verlogene Luder Hoffnung noch lange umher und trübt die Sinne.
Die frei von jeglichen Tanninen und Beerenaromen, und somit
gänzlich strukturlose Flasche Wein, war schnell geleert. Zum
Glück, denn die Reden der Wahlsieger ertrug man nur mit diesem
wattigen Stossdämpfer, den Freund Alkohol so ausgezeichnet zu
erzeugen vermag. Kronkorken hin oder her.
Ich kannte die Gestalten ja eigentlich nur von Plakatwänden
herabgrinsend und nun mischte das Radio auch noch Stimmen hinzu zu
diesen stummen Bildern von meist fischig daherkommenden Lachgesichtern.
Euphorisiert durch ihren Wahlsieg nehmen sie kein Blatt vor den Mund
und erklären wie sie aus der Schweiz in der nun kommenden
Legislatur ein Hochsicherheitsgefängnis machen
wollen. Ich riss das Kabel aus der Wand und legte mich schlafen.
Heute steht in der Zeitung, nebst der erwarteten Wahlbeilage mit vielen
unnützen Analysen, in einer kurzen Depesche den Antifaschistischen
Nachmittagsspaziergang vom Samstag betreffend: Linksaktivisten haben sich in Bern ein
Katz- und Mausspiel mit der Polizei geliefert.
Ich erinnerte mich natürlich wieder an den jungen Mann vom
Freitag. In der Zwischenzeit wusste ich allerdings, dass ich mit meiner
spiessbürgerlichen Art, aktiv an der Wahl teilgenommen zu haben
gerade so wenig erreicht habe, wie die Linksaktivisten in den Gassen
Berns. Doch halt! Mich beschlichen Zweifel, hatten die "Chaoten" nicht
wenigstens ihren Spass dabei? Katz- und Mausspielen mit der Polizei.. Wie geil muss das denn
sein?
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D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h
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