In seiner Freizeit und bei schönem Wetter fährt der
Schweizer gerne in die Berge zum Leutegrüssen. Im
Leutegrüssen ist er der Meister seiner Klasse. Er grüsst beim
Wandern, er grüsst beim Bergsteigen und er grüsst beim
E-Biken. Nicht selten ist auch Gott im Spiel ..und es hob an ein grosses Gegrüsse über allen Wipfeln. Und an Ruhe ward nicht mehr zu denken: Grüess Gott! Steht es zu lesen im Bergsportbrevier des schweizerischen Alpenklubs.
Onkel Alfons war ein
begnadeter Wandersmann. Zu jeder Jahreszeit zog es
ihn zu den Gipfeln. Keine Krete war vor im sicher, kein Grat, der nicht
durch Alfonsens vibrambesolten Fuss beschritten ward. Was er von
Frühling bis Herbst bezwang, wurde noch im Winter desselben Jahres
unter die Skier oder Schneeschuhe genommen. Er lebte alleine, hatte
kaum
Freunde und war bekannt dafür, dass er, einer kruden Konsequenz
folgend auch alleine seine Touren
unternahm.
Mitte der neunziger Jahre, an einem sonnigen Novembertag, zog ein Heli
der BOHAG seinen steifgefrorenen Leichnam aus einer Radialspalte des
damals noch vorhandenen unteren Grindelwaldgletschers. Eine
Gletscherexpedition fand ihn zufällig und man konnte letztlich
nicht mehr feststellen, wie lange er in der Spalte lag, oder wie lang
er nach dem vermeintlichen Sturz noch lebte. Dass er nach dem Sturz
noch gelebt haben musste, erkannten die Rettungskräfte
daran, dass er den Proviant den er in seinem Rucksack mitführte,
bis auf den letzten Krümel weggefuttert hatte.
Rätselhafterweise hielt er eine Taschenbuchausgabe von
Brontës Sturmhöhe in Händen, welches er auf der ersten
Seite aufgeschlagen hatte.
Dass er ein Buch mit auf die Tour mitgenommen hatte, verstand niemand.
Niemand bis auf mich, denn mir erzählte Alfons bei jeder sich
bietenden Gelegenheit über seine Liebe zu den Bergen. In mir
musste er eine kleine Flamme brennen gesehen haben, die er als
Leidenschaft für die Bergwelt deutete. Mich bestimmte er zu seinem
Adepten und erzählte mir die Geheimnisse seiner Welt.
Alfons las eigentlich keine Bücher. Das Buch, das er auf jeder
Bergtour mitführte, erfüllte einen ganz profanen Zweck. Er
mochte ein verschrobener Spinner gewesen sein, aber er wusste, selbst
dem erfahrensten Berggänger passierte es hin und wieder, dass er
in eine
Situation geriet, aus der er sich nicht mehr aus eigener Kraft
befreien konnte. Die Vorstellung, am Rand eines Wanderwegs zu liegen
und zu warten bis Hilfe kommt, war für ihn unerträglich. Er
war sich sicher, in einer solchen Situation verrückt zu werden. Um
dem vorzubeugen, war in seinem Rucksack stets
ein Taschenbuch eingelagert. Er malte sich aus, den unwahrscheinlichen
Fall, auf Hilfe dritter warten zu müssen, lesend zu
überbrücken.
Dass er es, als sie ihn fanden, auf der ersten Seite aufgeschlagen
hatte, konnte nur bedeuten, dass er vergessen hatte, seine Lesebrille
einzupacken.
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Meine Interessen verlagerten sich bis Weilen nur marginal hinein in die
mich umgebende Bergwelt. Das traurige Ende Alfons war eher nicht
der Grund dieser Abkehr, viel mehr war es die körperliche
Ertüchtigung, die mit Bergtouren einhergeht. Mehr als Wandern und
Bergsteigen interessiere ich mich für brutalistische Architektur.
Hier als eine kleine Reminiszenz aus der längst vergangenen Frankreichreise
(kuckstu Bild, jetzt), diese Rückansicht eines exemplarischen Baus
brutalistischer Ausprägung. Wer den Zweck dieses sarkophagesken
Buntbaus errät, kriegt einen Preis. Den Preis muss ich noch
ausbaldowern - ein Bier oder einer dieser begehrten Blicke in meinen
Kulturbeutel.
D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h