Heute wird in der Schule ja
angeblich vermehrt auf Leseverständnis gesetzt. Früher war
das noch anders. Früher musste ein Lernplan erfüllt werden.
Es gab abgestimmte Lehrmittel, die während eines Schuljahres
durchgeackert werden mussten. Kompromisslos wurde Wissen in unsere
Kindsköpfe eingedengelt wie im Mittelalter die
Messingbeschläge in Schatztruhendeckel heute längst verwester
Inquisitoren. Wer meinte, während des Unterrichts seine soziale
Kompetenz dadurch aufzubessern, indem er herumalberte oder dem
Lehrkörper tote Mäuse ins Pult schmuggelte, den traf die
erzieherische Härte desjenigen. Kiloschwere Schlüsselringe
flogen durchs Klassenzimmer, Bambus hob auf Fingerkuppen. Kurz, es
galten Zustände wie zu Gotthelfszeiten. Die Fehlbaren bluben,
bei schonungsvollem Vollzzug der Strafen mindestens auf der
Strecke. Wenn dich die volle Härte traf, dann konnte das
schon auch bedeuten, dass es dich in die schnell drehende
Abwärtsspirale einsog. Dein Leben pendelte dann innerhalb der
Eckpfeiler Primarschule, Drogen und Gottesfurcht. Wehe-wehe!
Mich sog es zum Glück nicht ein, war ich doch stets der artige Kuscher. Ich füllte im Rechenunterricht Bigeli um Bigeli
und merkte erst spät, dass aus den unsinnigen Textaufgaben, mit
welchen wir später gequält wurden, kein Staat zu machen war.
Bauer Fleischmann hatte vierzehn Kühe. Bei der Auktion am
vergangenen Montag verkaufte er drei Kühe à 2400.- und
kaufte vom Erlös fünf Schafe zu einem Preis von wasweissich.
Solches Zeug halt. Mein Gott. Was sollten wir daraus fürs Leben
lernen? Niemand wollte Bauer werden. Die Bauern, die es in unserer
Kleinstadt noch gab, waren alle ledig und wir kannten sie vor allem
deshalb, weil sie uns auf dem Nachhauseweg von der Schule nachstellten
oder in entlaubten Brombeerhecken herumlungerten und sich ihr
entblösstes, schrundiges Gebimsel kraulten. Was wohl wird Bauer
Fleischmann im Schilde führen, wenn er seine Kuhherde
verhökert und Schafe kauft?
Die Lehrer der naturwissenschaftlichen Fächer waren insbesondere
dazu verurteilt, uns Wissen näherzubringen, von dem wir uns nur
schwer vorstellen konnten, es jemals gewinnbringend abrufen, ja gar
anwenden zu können. Klar gab es bereits den ein oder anderen
verschrobenen Spinner, der mit seinem Kosmoskasten zu Hause
Schwarzpulver herstellte und sich dafür im Chemielabor heimlich
eine Extraportion Salpeter abzweigte. Wozu man das Schwarzpulver dann
aber konsequenterweise einsetzen konnte, lernten wir dann, ob aus
Ignoranz oder aus Sicherheitsgründen im Fach Geschichte leider nicht.
Lehrer musischer Fächer oder Lehrer von Sprachen waren mehr oder
weniger gefeit davor, solcherlei Hürden überwinden zu
müssen. Es gab natürlich andere Hürden, allerdings oblag
es, exemplarisch am Fach Französisch betrachtet, meistens mir, sie
zu überwinden. Die Académie française - my own private Bastille - hielt sie in unüberschaubarer Menge für mich bereit.
Kleines Beispiel gefällig? Der Franzose kennt offenbar, um das
prollige S-c-h[Äss-Zeh-Ha]-gezische zu articulieren mannigfaltig
Möglichkeiten. Schöne Schissträck
- dachte ich. Nicht mit mir - mit mir nicht! Man wird mich dann schon
verstehen, dachte ich. Für den unvorstellbaren Fall, einmal in Paris eine Portion Pommes bestellen zu müssen.
Die Etudes Françaises mit ihrem Cours de base Premier
degré und mit ihm mein Französischlehrer waren anderer
Meinung. Das Lehrmittel - ein ausgeborenes Werk des Teufels - hatte zu
diesem Zweck einen Term auf Lager, den wir drillpistenmässig
aufsagen mussten. So lange, bis er uns zu den Ohren hinauslief:
Monque Leroc a un joli gilet jaune. Monque Leroc a un joli gilet jaune. Monque Leroc a un joli gilet jaune. Monque Leroc a un joli gilet jaune.
Was für ein ausgemachter Mist. Dreimal SCH: Einmal hart, einmal
weich, einmal scharf und einmal verschluckt. Die ganze Palette
aussprachlicher Nuancen, wie sie sonst höchstens noch der Russe
kennt, festgeschraubt in seiner korsettähnlichen Folterkammer
kyrillischer Schreibwaffeln. Meine erste Reaktion damals (leise in mich
hineingebrummelt): "Wozu soll ich das jemals brauchen in meinem" -
damals noch sehr hoffnungsvollen - "Leben !?"
Gestern blieb ich beim gelangweilten Rumzappen bei TF1 hängen, und
ich wusste plötzlich die Antwort auf eine meiner ersten
Lebensfragen. Ist das nicht schön?
D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h